Aldone 1996
 




Aldone II


Siebdruck von Margit Schmidt



Von gefundenen einem Jeden überreich zur Verfügung stehenden Bildmaterial ausgehend, ob Pressefotos, Lexikonbilder oder Schnittmuster, schafft Margit Schmidt in ihren farbig intensiven und collageartig arrangierten Siebdrucken neue, eigenwillige Bildschichtungen und –überblendungen. Ihre Arbeit reflektiert die allgemeine Bilderüberflutung unseres Medienzeitalters und die Chance der im individuellen Selektionsprozess behaupteten subjektiven, doch keinesfalls beliebigen Wahrnehmung. Aleatorische und kontrollierte Momente wirken dabei zusammen. Das Blatt mit dem für die Thematik des Bildes belanglosen Titel „Aldone II“ (vermutlich ausgelöst von dem Ort Aldeno bei Trient in Oberitalien) verknüpft im Wesentlichen drei Bildschichten: über dem tiefroten Grund, vielleicht ein Hinweis auf den in weiten Gebieten gerodeten Regenwald, liegt die mit Schnittmustern durchsetzte (so auf anonyme Prozesse hindeutende) Szene einer Massenversammlung, darüber Ausschnitte von mikroskopischen Aufnahmen von Zellen oder Ähnlichem. Durch die beiden Kreuze im oberen Feld der Massenszene ist vielleicht an eine bestimmte Methode des Identifizierens bzw. des Auslöschens bestimmter Menschen zu denken.

Gewiss verbietet das assoziativ strukturierte Blatt eine simple frontale oder lineare Leseweise, etwa im Sinne von „Grenzen des Wachstums“. Dennoch mag in der Wahrnehmung dieser Arbeit Gedankliches dieser Art mitschwingen. Skeptisch aber gegenüber der Gültigkeit jeglichen fremden Bildes beharrt die Künstlerin radikal auf der Behauptung des immer vielschichtigen eigenen Bildes. Keineswegs im Widerspruch dazu steht die Feststellung von Sabine Schütz: „Man könnte sich die Bildwelt von Margit Schmidt schließlich auch als einen künstlerischen Versuch über das Erinnern und Vergessen denken...“ (Kat. Kunstverein Südsauerland, Olpe 1995, S. 12)

Dass gerade die Fotografie und der Siebdruck, probate Mittel der Kunst, wenngleich mit anderen Konzepten, beispielsweise bei Andy Warhol oder Robert Rauschenberg, dem die Massenproduktion und ihre Konsequenzen diagnostizierenden Bildverständnis von Margit Schmidt entgegenkommen, steht außer Frage.


Hans M. Schmidt, Rheinisches Landesmuseum, Bonn (1997)


(In: Grafik der Gegenwart. Ausstellung Rheinisches LandesMuseum / Kalender 1998 der Arbeiterwohlfahrt. Bonn 1997)







Schiftmale und Siebdrucke


Als „Schrift-Male“, deren Zeichen man entziffern und lesen möchte, bezeichnet Margit Schmidt ihre graphischen Werke. Ihre bevorzugten Medien sind die Kaltnadelradierung, die Strichätzung, die Photoradierung, die manuelle und photographische Schablonenherstellung und die Collage.

In ihren Arbeiten verbindet die Künstlerin oft mehrere dieser Techniken zu ausdruckstarker gestalterischer Wirkung. Einige ihrer Werke beziehen ihre ästhetische Kraft aus dem schwarz-weißen Hell-Dunkel-Kontrast von Form- und von Schriftstrukturen, andere vermitteln vor allem durch ihren komplementären Farbdialog und der Korrespondenz von Hell- Dunkelwerten eine faszinierende malerische Bildwirkung. Jedoch ist bei beiden farblichen Möglichkeiten die Komposition in der Fläche das wesentliche gestalterische Merkmal.


Besonders exemplarisch für Margit Schmidts Arbeiten mit dem Phänomen Schrift, das in allen Kulturen sowohl Ornament als auch Botschaftsträger sein kann, erscheint ihre schwarz-weiße  Tiefdruck-Grafik mit dem Titel „Schriftmal IV“. In deren schwarzer Bildhälfte erhebt sich ein helles Rechteck, das, einer sockelartigen Predella gleichend, ein schwarzes Rechteck trägt. Dieses zeigt eine scheinbar zufällige Anordnung von surreal und grotesk deformierten zeichenhaften Menschenmetamorphosen, die sich sinnvoll zu einer Bildstruktur fügen und über ihre Posen uns etwas zu sagen versuchen. Im hellen Sockel hingegen finden wir eine zartere Schriftstruktur aus unzähligen geschriebenen Wörtern, die wie eine abstrakte Topographie von oben gesehen wirken und sich zu strömenden oder überkreuzenden Dunkelflächen und Windungen verdichten. Oben im Bilde finden wir die figurative Hieroglyphe, unten ihre entwicklungsgeschichtliche Abstraktion auf das grafische Zeichen.


Strukturen und Flächen, die im Kontrast ihr gestalterisches Selbstbewusstsein behaupten, prägen auch Margit Schmidts malerische Siebdrucke, die zum Teil in langen, fahnenartigen Papierbahnen an den Wänden hängen oder als farbige plastische Bildtafeln, Ikonen gleichend, gearbeitet sind. Die größeren, farbig gedruckten Kompositionen fügen oft mehrere Bilder zu einer Gesamtkomposition, quasi wie Bilder im Bilde. Sie fordern unsere Aufmerksamkeit durch die Unschärfe und vergrößernde Formauflösung des Sujets und vermitteln uns Strukturen, farbige, gegenständliche und ungegenständliche Signale, im wahrsten Sinne des Wortes „Bilder“, die wir umfassend sinnlich erforschen können. Einige Arbeiten zeigen rot-schwarz-gelb-grüne, miteinander dialogisierende und zugleich kontrastierende Farbspuren, die sich belebend, nicht streng, an die klaren, geometrisch zugeschnittenen Schablonenformen halten und in mehreren Druckvorgängen vitale Farb- und Hell-Dunkel-Strukturen zu faszinierenden malerischen Mischzonen vereinen. Verunklärende Formenflächen aus Gelb/Rot oder Rot/Gelb/Grün treten zuweilen kontrastreich aus dem Dunkel oder der dominierenden Farbfläche heraus in Erscheinung. Schnittmusterspuren durchmessen kompositorische geometrische Teilaspekte und gleichen den Spuren radioaktiver Teilchen, die den Raum durcheilen. Große, die Gesamtfläche gliedernde Formen sind von farbigen oder dunklen Binnenzeichnungen und geometrischen Elementen belebt, die wie zufällig im „Bildraum“ zerstreut angeordnet sind, die aber dennoch eine geheime Übereinstimmung oder Zusammengehörigkeit suggerieren, wie sie zum Beispiel Teilen eines Puzzles zueigen ist.


Gerhard Kolberg, Museum Ludwig, Köln (1994)

 

Sabine Schütz:

Cut down - Grafik als Installation und Animation


„Seven Palms“ heißt die Exil-Villa, die sich Thomas Mann 1942 im kalifornischen Pacific Palisades errichten ließ. Der schon damals weltberühmte Schriftsteller lebte hier bis 1952 und verfasste u.a. den Künstler-Roman "Doktor Faustus".

"Seven Palms" inspirierte Margit Schmidt zu einer mehrteiligen Arbeit, die traditionelle Techniken des Holz- und Linolschnitts mit einer Videoanimation kombiniert. Ihr liegt das Bildschirmfoto einer um 1950 entstandenen Schwarzweißfotografie zugrunde, die den Literaturnobelpreisträger im Kreise der Seinen zeigt, ganz in Weiß, dandyhaft die Zigarette haltend - das Dokument eines Exilantendaseins auf höchstem kulturellem und materiellem Niveau - der Emigrant im Paradies.

Mit zunehmendem Abstand zu den großformatigen Druckstöcken und den davon gefertigten Abzügen kristallisiert sich allmählich das Gruppenbild mit Dichter aus der durch vertikale und diagonale Linienraster erzeugten Unschärfe heraus: Thomas Mann mit Frau Katja und Tochter Erika an einer Kaffeetafel. Kreisrunde, applizierte Collageelemente zoomen einzelne Details heran. Schlanke, bis zu 50 Meter hohe Palmen säumen wahrzeichenartig die Boulevards von Los Angeles. Die Künstlerin greift das Motiv in einer kleinen Animation auf, als führe die Kamera ein Stückchen den San Remo Drive entlang, wo das Mann-House noch heute steht.

"Where I am there is Germany" - mit diesem vielzitierten Ausspruch hatte der Exilant Mann 1938 bei seiner Ankunft in den USA die kulturelle Repräsentation Deutschlands für sich beansprucht. 2016 kaufte die Bundesrepublik sein luxuriöses Wohnhaus in LA, um es vor dem Abriss zu bewahren, und 2018 eröffnete Bundespräsident Steinmeier hier ein Zentrum für den transatlantischen Kulturaustausch im Zeichen der Demokratie.

Am Anfang einer neuen Werkserie von Margit Schmidt steht die Entscheidung für eine spezifische Thematik. In Seven Palms ist es die Begeisterung für Thomas Manns literarisches Werk, seine unbeugsame Haltung und insbesondere der aktuelle kulturpolitische Bezug, der ihr, wie auch dem Betrachter, den Zugang zum Sujet öffnet, welches dann sukzessive mit unterschiedlichsten bildnerischen Mitteln dekonstruiert wird.

Schmidts Bilderfundus speist sich aus einer Vielzahl vorwiegend medialer Quellen: Neben eigenen Aufnahmen umfasst das Spektrum Material aus TV, Film oder Internet sowie Reproduktionen älterer Arbeiten. Zu ihren bevorzugten Ideengebern gehören Kanäle wie YouTube und vor allem die Mediathek der "Kulturzeit" im Sender 3sat, die auch zu "Seven Palms" den Anstoß und das Material lieferte.

Zu den Vorläufern der neuen Werkgruppe zählt das südfranzösische Landschaftsmotiv Crestet, an welchem Schmidt verschiedene digitale Bearbeitungsmöglichkeiten erprobte. Stets geht es jedoch weniger um das Vorführen medienspezifischer Fertigkeiten oder Effekte um ihrer selbst willen. Margit Schmidts künstlerischer Ansatz besteht vielmehr in einer bewussten Rückführung des Digitalen in traditionelle, manuelle, vermeintlich antiquierte künstlerische Erscheinungsformen des Analogen. Sie selbst spricht vom "anachronistischen Resonanzverhältnis zwischen den analogen Werkverfahren und den aktuellen Möglichkeiten der Bildproduktion".

Die fotografischen Vorlagen werden zunächst digital in Rastergrafiken umgewandelt, welche ein Bild durch einzelne unreduzierbare Elemente wie Punkte oder Linien definieren. Der erwähnte Effekt der Verundeutlichung des Motivs je nach Auflösungsgrad ist vergleichbar mit den druckgrafischen Übertragungsverfahren der Printmedien.

Insofern besteht eine gewisse Nähe zum künstlerischen Ansatz von Sigmar Polke, der mit seinen Rasterbildern schon in den frühen sechziger Jahren die Vermittlung von Realität durch die Medien ironisch hinterfragte. Billig gedruckte Illustrationen vergrößerte er so, dass man ihre Sujets nur auf den "entfernten Blick" erkennen kann.

Ein erstaunlicher optischer Effekt stellt sich im Ausstellungskontext ein, wenn man diese visuellen Transformationen nochmals abfotografiert und sie quasi an ihren medialen Ausgangspunkt zurückführt: In der Reproduktion (auch dieser Broschüre) oder auf dem Display verdichten sich die Elemente, und die scheinbar verlorengegangene Wiedererkennbarkeit des jeweiligen Motivs stellt sich erneut ein.

Der Wirklichkeit der reproduzierten Bilder steht in Schmidts Arbeiten die Wirklichkeit ihrer optischen Bestandteile gleichberechtigt gegenüber. Diese gewinnen autonome Bedeutung, wenn nach der Anwendung vergröbernder Filter oder der Konvertierung in den Bitmap-Modus der Bezug zur fotografischen Vorlage fast vollständig verloren geht und die formalen Qualitäten der Ungegenständlichkeit in den manuell gefertigten Grafiken überwiegen, wie in der Crestet-Animation oder den Variationen nach Filmstills.

Margit Schmidts Metier ist von jeher die Grafik, die sie seit 2000 an der Universität zu Köln lehrt. Ob Radierung, Siebdruck, Holz- oder Linolschnitt - sie beherrscht die Drucktechniken ebenso souverän wie deren Entwurfsgestaltung am Computer. Die Umsetzung der digitalen in analoge Bildstrukturen erfolgt in der althergebrachten Kunst des Schneidens in Platten aus Holz und Linoleum.

Nach der Bearbeitung am PC druckt die Künstlerin die Grafiken als A3 Kopien aus und setzt daraus das Bild in Puzzle-Manier zusammen - quasi ein Riesenraster. Auf diese Weise lassen sich auch wandfüllende Formate bewältigen. Dann werden die linearen Strukturen von Hand auf die vorbereiteten Holz- oder Linolplatten durchgepaust. Auf das sich anschließende Freischneiden der Linien und Motive folgt der eigentliche Druckvorgang, bei dem die Leinwandbahnen mit den Füßen auf die eingefärbten, im Atelier ausgelegten Druckstöcke gepresst werden. Den enormen Zeit- und Arbeitsaufwand zur Herstellung dieser Arbeiten kann der Betrachter erahnen.

Die Druckstöcke selbst sind, als im Wortsinne "prägende" Bestandteile, gleichfalls Teil des Werks und der Ausstellung - als künstlerisch ebenbürtige, skulpturale Objekte, die auch eigene materialspezifische Bedingungen stellen: Anders als das weiche Linoleum lässt sich Holz gegen die Wuchsrichtung nur mit großem Widerstand schneiden. Diese betont handwerklichen Aspekte liegen der Künstlerin besonders am Herzen; Präzision und Liebe zum Detail sind konstituierende Bestandteile ihrer Arbeit. In diesem Sinne beruft sie sich auf den amerikanischen Soziologen Richard Sennett. In seinem Buch "Handwerk" (2008) singt dieser ein Loblied auf den Handarbeiter, der seiner "Arbeit mit Hingabe nachgeht und sie um ihrer selbst willen gut machen will." Für Sennet beschränkt sich solches Können keineswegs auf den Handwerker im landläufigen Sinne, sondern steht ganz allgemein für den Wunsch, etwas Konkretes um seiner selbst willen gut zu machen.

Margit Schmidt teilt diese Einstellung zum Handwerk und realisiert sie in ihrem eigenen Umgang mit der Holzschnitttechnik - ohne je ins Kunsthandwerkliche zu verfallen. Schon allein der vielschichtige konzeptuelle Transformationsprozess, der von der medialen Vorlage über den  Druck hin zu Installation und Animation führt, verhindert das. Der mediale Kreislauf findet - scheinbar - zum Anfang zurück, wenn die Künstlerin die eingefrorenen "Stills" wieder zum Laufen bringt.

Auch das Medium der Performance wird druckgrafisch thematisiert und simuliert:

1981 hatte die Künstlerin Marina Abramović, zusammen mit ihrem Partner Ulay, für die documenta 7 und verschiedene andere Kunstorte, die Performance "Nightsea Crossing - Über das Nachtmeer" entwickelt, die 1982 auch in der Moltkerei aufgeführt wurde. Fünf Tage lang saßen sich die Protagonisten bewegungslos und stumm gegenüber, täglich sieben Stunden. Ihre Anstrengung bestand allein darin, absolut nichts zu tun und sich nur auf sich selbst und das Gegenüber zu konzentrieren.

Das einzige Foto, welches von dieser Aufführung in Köln existiert, diente Margit Schmidt als Ausgangspunkt für ihre Arbeit Moltkerei, mit der sie nicht nur eine der wichtigsten Perfomance-Künstlerinnen unserer Zeit würdigt; gleichzeitig ist dies eine Hommage an den Kölner Ausstellungsort "Moltkerei". Damals war diese alternative Spielstätte für neue Formen der Aktionskunst gerade gegründet worden; bis heute hat sie ihren experimentellen Werkstatt-Charakter bewahrt. Indem Schmidt in ihrer Videoanimation die Linolschnitt-Grafik mit den Mitteln des Trickfilms in Bewegung versetzt, konterkariert sie auf humorvolle Weise die beinahe selbstquälerische Starre der ursprünglichen Aufführung.

Die schon allein durch ihr monumentales Format beeindruckende Arbeit KuZ 20. Januar beweist erneut die Affinität der Künstlerin zu aktuellen Themen aus Kultur und Politik. Am 28.01.2019 berichtete "Kulturzeit" über zwei Ereignisse aus Frankreich, die sich unabhängig voneinander im Großraum Paris lokalisieren lassen: zum einen die Proteste der Gelbwesten gegen die Politik von Emmanuel Macron, zum anderen der Tod des populären Filmkomponisten Michel Legrand. Durch die TV-Berichterstattung im selben Programm entstand eine zufällige Simultanität, die in Schmidts Arbeit durch die Überblendung der Motive - wiederum ausgewählte Standbilder - Form annimmt, um zugleich den verbindlichen formalen Rahmen der Wiedererkennbarkeit zu verlassen.

Die Musiker eines Streichorchesters werden mit den demonstrierenden Massen so überschnitten, dass die jeweiligen Rasterelemente wie Muster ineinandergreifen und zu einer Art informellen Allover-Struktur verschmelzen. Sogar die Distanzierung vom Bild offenbart hier kaum noch Erkennbares, abgesehen von den Geigenbögen, die das Bildgeschehen mit diagonalen Strichen rhythmisieren und an die abstrakte Version eines mittelalterlichen Schlachtengemäldes, etwa von Paolo Uccello, erinnern. Aber diese Auflösungstendenzen sind, anders als die gestischen Entwürfe des Informel, nicht so sehr als Angebote an die Phantasie der Betrachter zu verstehen; vielmehr geht es darum, die Bedingungen des eigenen Sehens - und dessen mediale Voraussetzungen - auf ungewohnte Art zu erleben und dadurch vielleicht besser zu verstehen. Margit Schmidt führt ihren Betrachtern vor Augen, was es heißt, das "Sehen zu sehen".

Der mehrdeutige Ausstellungstitel "Cut down" spielt wörtlich auf die handwerkliche Schneidetechnik in Holz an; alltagssprachlich heißt "to cut down" aber auch, sich einzuschränken und zu sparen. Durch den Bildherstellungsprozess kommt diese Reduktion wie von selbst zustande. Der Vergleich zwischen traditionellem Holzschnitt und am Computer generierter Grafik offenbart: Jede digitale Information, wie komplex sie auch sei, lässt sich auf den simplen binären Code 0 - 1 reduzieren. Auch der Holzschnitt bezieht seine Wirkung aus seiner strikten Beschränkung auf Hoch und Tief, im gedruckten Ergebnis Weiß und Schwarz (bzw. Farbe). Umgangssprachlich drückt der Begriff "holzschnittartig" so viel wie "vergröbert, vereinfacht" aus und definiert den spezifischen Kontrastreichtum des Mediums, den die Meister des Metiers zu allen Zeiten effektvoll einsetzten.

Es leuchtet ein, dass sich Margit Schmidt vorzugsweise solcher Vorlagen bedient, die dieses markante Hell-Dunkel ihrerseits betonen. In der Bildserie La Notte zeigt sich dies in der Auseinandersetzung mit einem Film von Michelangelo Antonioni (1961). Im Mittelpunkt steht die Entfremdung zweier Ehepartner, gespielt von Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni. Der Film ist ein neorealistisches Meisterwerk im reinsten Chiaroscuro, der die Möglichkeiten des Schwarzweißkontrasts voll ausschöpft, indem er die Protagonisten tief in Licht und Schatten eintaucht oder mit den strukturellen Effekten des Schwarz-Weiß, etwa in Gestalt architektonischer Elemente, spielt.

Die drei Filmstills, die Margit Schmidt dem Werk "enteignet" und ihrem eigenen Konzept anverwandelt hat, entnahm sie dem auf YouTube zugänglichen Film samt Trailer mit englischen Untertiteln. So werden gleichzeitig mit den ausgewählten Standbildern auch die entsprechenden Textpassagen ihrem narrativen Kontext entfremdet, woraus sich ganz neue, unerwartete Assoziationen ergeben. Durch die Überblendung zweier Stills kommt zudem eine neue Abstraktionsebene ins Bild.

Auch in Hinblick auf das Leitthema ihrer neuen Werke - nämlich das "Sehen sehen" - hat Antonioni Pionierarbeit geleistet. 1966 kam sein wohl berühmtester Film "Blow Up" in die Kinos. Ein Fotograf, der heimlich ein Liebespaar in einem Park fotografiert hat, glaubt Zeuge eines Mordes gewesen zu sein: Auf Abzügen des Negativs entdeckt er einen bewaffneten Mann im Gebüsch und eine Leiche. Doch bei dem Versuch, das Foto so zu vergrößern, dass es als Beweis dienen könnte, verschwimmen alle Details.

Die "Filmwelt" beurteilte Antonionis Werk als einen „Film, der die Faszination des Bildes als Abbild tatsächlicher oder vermeintlicher Wirklichkeit und die Möglichkeiten der Manipulation aufzuzeigen versucht". Dieser Anspruch könnte - fast sechzig Jahre später - auch über der neuen Werkreihe von Margit Schmidt stehen.


Sabine Schütz

Anlässlich der Ausstellungseröffnung von Margit Schmidt in der Moltkerei Werkstatt, Köln, 10.10.2019














  



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